Laudatio Prof. Kuyumcu

Der Vorstand des Vereins Deutscher Kokereifachleute e.V. und die Jury zur Verleihung der Koker-Medaille haben einstimmig beschlossen, die

 

Koker-Medaille 2019

 

Herrn Professor Dr.-Ing. Halit Ziya Kuyumcu

aus Berlin zu verleihen.

 

Mit der Auszeichnung sollen die besonderen Leistungen von Herrn Kuyumcu auf dem Gebiet der Kokerei-Forschung, insbesondere für die technische Weiterentwicklung, internationale Vermarktung und wissenschaftliche Durchdringung der Stampftechnologie, gewürdigt werden.

 

Herr Professor Kuyumcu wurde am 1. April in Niğde, einer Kleinstadt am Fuße des Taurus-Gebirges in Zentral-Anatolien, als Sohn eines Meteorologen geboren. Nach nur elf Jahren Schulzeit legte er sein Abitur mit Auszeichnung ab, was ihm Stipendien für die Universitäten in Ankara oder Istanbul ermöglichte.

Herr Kuyumcu wählte aber einen anderen Weg. Die Eti-Bank, eine große türkische Bergwerks-Gesellschaft, eröffnete ihm als Stipendiaten die Möglichkeiten eines Auslandsstudiums. Den Stipendiaten-Vertrag musste wegen seines jugendlichen Alters noch sein Vater für ihn zeichnen. Das vorgeschaltete dreimonatige Praktikum absolvierte er in einer Kupfermine des Oberkonzerns, wo er erstmals mit dem Tagebau, aber auch mit der Aufbereitungstechnik und letztendlich der Metallurgie in Kontakt kam.

Im blutjungen Alter von 17,5 Jahren verließ er die Türkei und machte sich auf den Weg nach Deutschland, wo er studieren wollte. Der damalige Abschied von seiner Familie war einer der emotionalsten Momente seines aufregenden Lebens und hat seinen weiteren Lebenslauf entscheidend mitgeprägt.

In Deutschland angekommen, lernte er am Goethe-Institut in Kochel am See die deutsche Sprache, was für ihn Tag- und Nachtschicht bedeutete. Nach einem halben Jahr war er bereit für das bergbauliche Studium, musste aber nochmals sechs Monate an Praktika vorwegschalten.

 

 

Die ersten drei Monate arbeitete er auf der Zeche Zollverein. Als Bergbaubeflissener marschierte er mit seinem Fahrsteiger am ersten Tag durch die Grubenbauten, was für Herrn Kuyumcu sehr beeindruckend war. Plötzlich stoppte der Fahrsteiger bei einer Arbeits­kolonne und drückte ihm eine Pannschüppe in die Hand; er war in der Senkkolonne gelandet und wurde im Bergmannsbuch als Gedinge–Schlepper geführt – so hatte er sich sein Praktikum eigentlich nicht vorgestellt…

Während der nächsten zwölf Wochen konnte er nicht die große Liebe zur Steinkohle ent­wickeln, zumal viele Tätigkeiten Schwerstarbeit bei wenig Licht, aber viel Staub, darstellten.

Die nächsten drei Monate absolvierte er im Harzer Erzbergbau auf der Schachtanlage „Hilfe Gottes“. Hier war es schon angenehmer: bessere Luft, erträgliche Temperaturen und nach dem Besetzen der Bohrlöcher eine Zigarette mit dem Sprengmeister auf den Sprengstoff-Kisten rauchen; die Liebe zum Erz war geboren.

Im Sommersemester 1966 nahm er sein Studium der Bergbau- und Lagerstättenkunde an der TU Berlin auf. Die spannende Situation im Berlin der 60er Jahre auf der einen Seite und die ganz spezielle Frauenquote im Harzer Clausthal-Zellerfeld bewogen den jungen Herrn Kuyumcu, sich an der Berliner TU einzuschreiben.

Während seines sechs Jahre währenden Studiums mit der Vertiefung am Institut für Lager­stättenkunde hatte er schon einen Nebenjob am Institut für Bergbaukunde inne, wo er in Kontakt zu Professor Simonis kam.

Im Jahre 1972 schloss er sein Examen mit Auszeichnung ab, was auch Professor Simonis nicht verborgen blieb. Dieser offerierte ihm dann auch die Möglichkeiten zur Promotion, da Professor Simonis Ergebnisse aus dem frisch entwickelten Modell zur numerischen Simulation der Steinkohlenverkokung auf die Erzaufbereitung übertragen wollte.

Im Rahmen seiner Promotion wechselte Herr Kuyumcu über in den Harz, um bei der Studiengesellschaft für Erzaufbereitung eine halbtechnische Aufbereitung aufzubauen. Hier untersuchte er an den unterschiedlichsten Erzen die Anreicherung der Rohstoffe mit Hilfe aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten des Aufschlusses und der Klassierung, wie zum Beispiel der Stromklassierung. Die Sammlung einer schieren Datenflut wurde von ihm systematisiert und in einem übergreifenden Modell zusammengefasst. Nach der Rekordzeit von nur 18 Monaten bestand er noch in 1973 das Rigorosum bei Herrn Professor Simonis, der seinerseits unglücklich war, diesen hochtalentierten und kostengünstigen Mitarbeiter nach lediglich eineinhalb Jahren schon wieder zu verlieren.

In der Folgezeit leistete er seinen Militärdienst in der Türkei ab, wobei ihm seine bergbaulichen Erfahrungen bei den Pionieren gut zur Seite standen.

Im Jahre 1979 heiratete der junge Herr Doktor und arbeitete weiter intensiv an seiner akademischen Weiterbildung.

Zwei Jahre später, also im Jahre 1981, habilitierte Dr. Kuyumcu mit seiner Arbeit zur „Roh­stofflichen Charakterisierung von Eisenerzen“. Von nun an arbeitete er als Privat-Dozent an der TU Berlin, sah hierin aber nicht seine Lebensaufgabe – es zog ihn in die Industrie.

Die Zeche Kamphausen an der Saar förderte seinerzeit die einzige Fettkohle an der Saar und modernisierte ihre Aufbereitungsanlage. Professor Kuyumcu startete als Projekt-Ingenieur und übernahm nach wenigen Monaten wegen der Erkrankung des Projektleiters die Projektleitung. In der Folgezeit optimierte Professor Kuyumcu alle Aufbereitungsanlagen an der Saar und schrieb ein Handbuch für die Waschmeister auf den Anlagen. Es ist bezeichnend für Professor Kuyumcu, dass er in diesem Aufbereitungs-Handbuch den Waschmeistern vor allen Dingen die Bedeutung ihres Handelns für die wirtschaftliche Situation ihres Bergwerks erläuterte: Kostenmanagement für Waschmeister.

Diese intensive Beschäftigung mit der Aufbereitung von Steinkohlen für die Verkokung von Steinkohlen führte Professor Kuyumcu zunehmend dichter heran an die Stampfer in der Saarregion, in die er mittlerweile umgesiedelt war.

Ende 1982 wechselte er endgültig über zu Saarberg Interplan mit der Aufgabenstellung, die Saar-Stampftechnik international zu vermarkten.

Zu diesem Zwecke machte er einen Rundlauf über die bestehenden Stampfkokereien an der Saar, wodurch er in Kontakt mit den Kokern auf Fürstenhausen kam.

Im Jahre 1983 legte er der Unternehmensleitung einen Business-Plan zur internationalen Vermarktung des Stampf-Know-hows von Saarberg Interplan vor. Auf Grund seiner Kennt­nisse aus der Lagerstätten-Kunde erstellte er eine globale Übersicht aller Kohlenlagerstätten. Er arbeitete die Lagerstätten heraus, in denen ähnliche Kohlen anstehen, wie die Saarkoker sie seit jeher verkoken mussten. Im Rahmen dieser Studie drängten sich die klassischen Abbaugebiete von Gondwana-Kohlen in Südafrika und Indien nach vorn, aber auch die Flöze verkokungsschwacher Kohlen in der Ukraine. Hier wollte er die Stampftechnik vermarkten und bekam die Erlaubnis der Unternehmensleitung zur Akquise.

Professor Kuyumcu machte sich für ein halbes Jahr auf die Reise, um weltweit wissen­schaftlich fundierte Akquise in diesen Ländern für die Stampftechnologie zu betreiben.

Sein Credo war: „Die Kohlenqualität der Gondwana-Kohlen ist durch Aufbereitungstechnik nicht weiter optimierbar; aber wenn die Natur der Kohlen an sich nicht änderbar ist, so müssen die Verkokungsbedingungen an diese angepasst werden!“.

 

 

Bei Bihar Randshi Coal India verblieb er für drei Monate, um die Technik bei ihnen voran zu bringen. In dieser Phase bekam er Kontakt zum Management von Tata Iron&Steel, die in Jampschepur eine neue Kokerei errichten wollten. Zur damaligen Zeit wurden die Hochöfen infolge der ungünstigen Erzlagerstätten und schlecht verkokbaren Kohlen mit spezifischen Koksverbräuchen von 1,1 – 1,2 tKoks/tRE gefahren. Im Rahmen seiner Akquise-Kampagne lud er die Inder an die Saar ein, um ihnen die hiesige Stampftechnik schmackhaft zu machen. Erfolgreiche Verkokungstests mit indischen Kohlen an der Saar überzeugten die potentiellen Auftraggeber endgültig, sodass es 1986 zum Vertragsabschluss kam; Saarberg Interplan rüstete die Batterie VII von OTTO India mit saarländischer Stampftechnik aus. Nach der Inbetriebnahme in 1988 folgte die nächste Batterie in 1989. In Jampschepur konnten nunmehr heimische Erze mit Koks aus heimischen Kohlen eingesetzt werden, eine riesiger wirtschaftlicher Vorteil für Tata.

In 1988 gelang es Professor Kuyumcu, in langen ministeriellen Verhandlungen, die Ukrainer in Lugansk vom Einstieg in die Stampftechnologie zu überzeugen. Der Auftrag entwickelte sich bei einem Finanzvolumen von 100 Mio. DM zum größten Auftrag in der Firmengeschichte. Die Anlage wurde 1990 abgenommen, aber es gab Zahlungsprobleme.

Die Ukraine war nach dem Zerfall der Sowjetunion mittlerweile ein selbstständiger Staat, sodass Russland kein Interesse hatte, die offenen Rechnungen für eine Stampfkokerei in Lugansk zu begleichen. Auf der anderen Seite hatte das neue Staatengebilde der Ukraine noch keine Devisen zum Begleichen der offenen Rechnungen. Herrn Kuyumcu gelang hier in Kiew ein ganz besonderer Deal: Die Restzahlungen wurden in Form eines klassischen Tauschgeschäftes abgewickelt, Lugansk lieferte Koks an den Kokshandel des Saarbergbaus, der seinerseits die offenen Rechnungen bei Interplan beglich.

Der Zerfall der Sowjetunion leitete dann auch die Wiedervereinigung in Deutschland ein. Mit dem Rückzug der Russen aus Ostdeutschland wurde auch der Uranabbau bei der Wismut eingestellt, wodurch 15.000 Mitarbeiter buchstäblich in der Luft hingen.

Im Jahre 1991 erhielt Professor Kuyumcu das Angebot, die Wismut als Geschäftsführer in die Zukunft zu führen. Die Wismut wurde in zwei Hälften aufgeteilt, wobei Wismut I den Bergbau beinhaltete und sich um die Abwicklung des stillgelegten Uranabbaus kümmerte.

Professor Kuyumcu übernahm die Wismut II, in der die Ingenieur-Kapazitäten der alten Wismut zusammengeführt worden waren. Nach seinem Umzug nach Chemnitz leitete er ein Firmenkonsortium mit nahezu 6.000 Mitarbeiter, das als Bundeseigentum gelistet war, also nicht der Treuhand unterstand. Es gelang ihm, ein mustergültiges Restrukturierungskonzept umzusetzen, indem er Zukunftssparten etablierte, die ab 1994 privatisiert betrieben wurden. Die Mitarbeiter arbeiteten nunmehr auf den Gebieten Neubau, Umwelt und Consulting, wobei allein der Bereich Consulting 800 Mitarbeiter aufnahm.

Während der Anbahnungsphase der Wismut-Anstellung wurde Professor Kuyumcu einmal gefragt, mit welcher inneren Ansprache er diese Aufgabenstellung angehen würde. Er antwortete seinerzeit sinngemäß: „Ich habe umfangreiche Erfahrungen mit Auslands­aktivitäten, weshalb ich bestens präpariert bin für Aufgabenstellungen im deutschsprachigem Ausland.“

Durch seine Erfolge bei der Wismut wurde auch die Braunkohlenindustrie in Ost und West auf ihn aufmerksam, die speziell in der Lausitz erheblichen Restrukturierungsbedarf für ihre industriellen Anlagen und Brachen hatte.

Ab 1995 war er als Geschäftsführer in der Braunkohlenindustrie mit dem Rückbau beauftragt. So baute er anfangs eine alte Brikettfabrik in der Lausitz zurück, sanierte das Umfeld und war für die Ansiedlung neuer Gewerbe zuständig. In dieser Phase war er auch Geschäftsführer einer Baumschule, da er seinerzeit der größte Aufkäufer von Bäumen in Deutschland war. Nach zwei weiteren Jahren in der Lausitz zog es Herrn Prof. Kuyumcu wieder nach Berlin, um sich wieder der wissenschaftlichen Lehre zu verschreiben und jungen Studierenden eine interessante Symbiose aus Lehre und industrieller Anwendung anbieten zu können.

Der Berliner Lehrstuhl von Professor Simonis war nach seiner Emeritierung für fast fünf Jahre unbesetzt geblieben, wodurch sich auch die akademische Infrastruktur aufgelöst hatte.

Im Jahre 1997 verließ Professor Kuyumcu die Lausitz und zog nach Berlin, um den verwaisten Lehrstuhl zu übernehmen. Bis dato hatte er als Privat-Dozent einmal jährlich eine Vorlesung zum Thema „Sanierung bergbaulicher Brachen“ in Berlin gehalten.

In Berlin angekommen musste er den Lehrstuhl von Grund auf neu etablieren, das hieß, in erster Linie wissenschaftliches Personal zu rekrutieren und Studenten für sein Fachgebiet zu begeistern. In der Lehre konzentrierte er sich auf die mechanische Verfahrenstechnik am Beispiel der Aufbereitung von Rohstoffen, insbesondere der Kokskohle. Schon seit seinen ersten Kontakten mit den Stampfern aus Fürstenhausen, insbesondere zu Herrn Kurt Leibrock, interessierte ihn die Frage, was denn den Stampfkuchen in seinem Innersten zusammenhält. In Fürstenhausen untersuchte man seinerzeit die Stand­festigkeit an einem Standardkuchen von 1 m Höhe, der im Technikum erzeugt wurde. Spätestens mit der Konzeptionierung des 6-m-Kuchens für den Neubau der Zentralkokerei waren validere Daten notwendig, um das Upscalen wissenschaftlich flankieren zu können. Jürgen Killich, seinerzeit im Planungsstab der ZKS für den Maschinenpark zuständig, wollte schon damals, dass Professor Kuyumcu „den Kuchen wissenschaftlich auseinandernimmt“.

Diese Aufgabenstellung entwickelte sich zum Mittelpunkt seiner Forschungen an seinem neuen Lehrstuhl. Er konnte mit seinen Mitarbeitern ein Modell zur Berechnung der Stampf­festigkeit von Kohlenkuchen entwickeln, das losgelöst ist von der realen Geometrie des Kuchens. Mit anderen Worten, über sein Modell auf Basis von Scherkräften und spezifischen Stampfkoeffizienten wurde die Berechnung von Stampfkuchen möglich, die auch die Größe von 6 m überschreiten, wie es aktuell in China praktiziert wird und auch in Indien ansteht.

Im Jahre 2013 emeritierte Professor Kuyumcu im Alter von 66 Jahren. Aktuell ist er noch in abfallwirtschaftlichen und solartechnischen Projekten in seinem Heimatland eingebunden. Mit seiner letzten Patentanmeldung zum Compact Grinding, dem parallelen Mahlen und Kompaktieren von inertreichen Kohlen, schließt sich der wissenschaftliche Aktionskreis von Professor Kuyumcu, von dem die Homepage der TU Berlin exakt 100 wissenschaftliche Publikationen auflistet.

Die frühzeitige Trennung von seinem Elternhaus hat vielleicht die Grundlage dafür geschaffen, dass er in seinem Leben an so vielen unterschiedlichen Orten und Kulturkreisen bei unterschiedlichsten Aufgabenstellungen so erfolgreich sein konnte.

Nach einem so reichen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Leben gönnen wir Herrn Professor Dr.-Ing. Halit Ziya Kuyumcu die Muße, sich mit seiner Frau, seinen beiden ebenfalls erfolgreichen Kindern und seinem Enkelkind am Ruhestand zu erfreuen.