Rückblick auf das Jahr 2009

 

Auszug aus dem Jahresschreiben vom Vorsitzenden des VDKF e.V. Peter Liszio an die Mitglieder:

 

Während das Weihnachtsgeschäft 2008 im Konsumbereich noch überraschend positiv verlief, erholte sich die Auftragssituation bei der Stahlindustrie nicht von der konjunkturell normalen schwachen Ordersituation des Dezembers, im Gegenteil. Die Auftragssituation bei den Flachstahlproduzenten erreichte historische Tiefststände, da sowohl die Automobilindustrie, als auch der Maschinenbau und zunehmend auch der Anlagenbau Aufträge stornierte. Für das Haus TKSE kann ich sagen, dass die Roheisenproduktion von stolzen 33.000 t/d auf winzige 13.000 t/d einbrach; Kurzarbeit und drastische Produktionsanpassungen waren unausweichlich. Das Haus HKM setzte den Hochofen A still, um eine „kostenoptimierte“ Neuzustellung durchzuführen. Im Hause TKSE wurde der Hochofen 9 in Hamborn stillgesetzt. Die drastische Zurücknahme der Roheisenproduktion blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die deutschen Kokereien. In einem ersten Schritt wurden sämtliche Zukäufe an Importkoks eingestellt. Eine weitere Fahrweise der Kokereien HKM, Prosper und PRUNA mit 100% Auslastung ließ die Kokshalden bei Prosper gefährlich schnell wachsen und hätte sie bis zur Jahresmitte an die Kapazitätsgrenze getrieben. Darüber hinaus war dieser Koks extrem teuer, da er noch mit Kohlen auf Basis der Benchmarkabschlüsse von 300 $/t (fob) erzeugt worden war. Da niemand absehen konnte, wann mit einer konjunkturellen Erholung zu rechnen sei, mussten die Kokereien in ihrer Auslastung zurückgenommen werden.

 

Es galt zu klären, inwieweit moderne Großbatterien in ihrer Produktivität zurückfahrbar sind, welche Risiken entstehen können und wie diese zu bewerten sind. Es galt abzuwägen, ob Kokereien in den Warmhaltebetrieb übergehen müssen, Koks außerhalb des Ruhrgebietes gelagert werden muss oder die Hochöfen auf das Einblasen von Schweröl oder Kohle zugunsten eines erhöhten Kokssatzes zu verzichten haben.

 

Die deutschen Kokereibetreiber definierten unter Einbindung der ff-Industrie und dem Kokereianlagenbau eine Auslastung von 70% als technische Untergrenze, bis zu der eine Produktionsrücknahme technisch und volkswirtschaftlich vertretbar ist. Die Kokereien HKM und PRUNA reduzierten ihre Kapazität sukzessive auf 70% bzw. knapp 80%. In einem weiteren Schritt musste auch PROSPER seine Produktivität auf 70% reduzieren. Parallel wurde das Einblasen von Öl/Kohle in Duisburg in Gänze eingestellt, der Tiefpunkt der Stahlkrise war erreicht. Die Kollegen in Salzgitter handelten analog, und Dillingen orientierte sich in ähnlicher Richtung.

In Carling wurde eine Batterie in den Warmhaltebetrieb versetzt; in der Folgezeit entwickelte sich Carling zum Mekka des Warmhaltebetriebes, da alle Werke Europas, Amerikas und Asiens vor vergleichbaren Entscheidungen standen und technische Erfahrungen hinterfragen wollten.

Besonders hart war die Ukraine betroffen, deren Stahlerzeugnisse zu 80% in den Export gehen, der fast in Gänze auf Null sank; 80% der Hochofenkapazität war stillgelegt und die Mehrzahl der Koksofen-Batterien im hot-idle-Betrieb.

 

Mit den Produktionsrücknahmen erwuchs naturgemäß ein Mengenproblem auf der Rohstoffseite. Während bei Prosper sich die Halden von Kraftwerkskohlen und Kokskohlen sowie Koksberge gefährlich annäherten, drohte der TKSE/HKM- Hafenbetrieb in Rotterdam überzulaufen. Es wurde versucht, diese so genannten „Carry-Over-Mengen“ bei den Minen oder zumindest in den Verschiffungshäfen „abzudrehen“, ein schwieriges Unterfangen. Der Mittal-Konzern hat beispielsweise seine Kranfahrer von seinen Lösch-Kränen abgezogen, obwohl die Kohlenschiffe externer Lieferanten schon an den Kais seiner Werke lagen, um ausschließlich Rohstoffe aus seinen eigenen Minen einzusetzen (ca. 60% Rohstoff-Eigenversorgung bei globaler Vollauslastung der Stahlproduktion).

Ganz so brutal gingen die deutschen Stahlwerker nicht mit ihren Lieferanten um, aber es fanden harte Verhandlungen statt, zumal die zulaufenden Mengen noch aus dem letzen Kohlenwirtschaftsjahr (April 2007 – April 2008) stammten und preislich extrem hoch bewertet waren. Letztendlich gelang es, einige Mengen zu stornieren, preislich zu drücken oder zumindest den Liefertermin zu verlängern.

In der Folge wuchsen die Halden bei den Minen. Es kam zu Massenentlassungen und viele Erweiterungsprojekte wurden aufgeschoben.

 

Zum Tiefpunkt der Stahlkrise waren die Stahlkonzerne „Cash-getrieben“; der Verkauf von Stahl und somit die Erlöse waren minimal, aber jedes in Übersee ablegende Schiff musste unverzüglich bezahlt werden, eine schlimme Situation.

In dieser Situation wurden in den Konzernzentralen für den Techniker mitunter nicht nachvollziehbare Entscheidungen getroffen. Neben dem nachvollziehbaren Abbau von physischen Beständen sollte zu Stichtagen aus bilanztechnischen Gesichtspunkten auch die finanziell bewerteten Vorräte minimiert werden, wodurch so wundersame Situationen entstanden, dass in Zeiten einer historischen Minderauslastung der Hochöfen und Kokssätzen von 100% die verkokungstechnisch und preislich wertvollsten Kohlen eingesetzt werden mussten.

 

Mit dem Greifen des staatlichen Konjunkturprogramms und seiner Maßnahmen wie Abwrackprämie und Kurzarbeit kam etwas Zuversicht zurück. Die Impulse aus aller Welt deuteten eine leichte Besserung der globalen Situation an und die Zuversicht stieg. In China griff das staatliche Konjunkturprogramm, das bis zu 700 Mrd. $ in die Entwicklung der Binnen-Infrastruktur pumpte. Dieses löste eine Auftragsbelebung in Korea und Taiwan, teilweise auch in Japan, aus. Auch aus den USA gab es leichte Anzeichen dafür, dass der Tiefpunkt der Krise überschritten war. Im Frühsommer begann der deutsche Stahlhandel seine Lager aufzufüllen, so dass die Nachfrage nach Stahl anstieg, wobei die Volumina schneller als erwartet nach oben zeigten, die Konjunktur sprang an…

 

Nun galt es Stahl auf den Markt zu werfen, um Cash einzunehmen, Roheisen musste produziert werden, aber mit welchen Rohstoffen?

Die Lager wiesen historische Min-Bestände auf und nicht nur Europa, die ganze Welt verlangte nach Eisenerz und Kokskohle. Die Hochöfen bei TKSE wurden mit Sinter versorgt, der hohe Prozentsätze an Pellet-Feed enthielt, da Sinter-Feed nicht in ausreichender Menge beschaffbar war. Und die Kokskohle…?

 

Die Stahlindustrie Chinas war durch das staatliche Konjunkturprogramm gut ausgelastet und benötigte Kokskohle. Da die neuen großen Werke an den Küsten Chinas weit entfernt sind von der Kokskohlenrepublik Shanxi, ist die heimische Kohle 1.) knapp und 2.) durch die hohen Logistikkosten (LKW-Transporte) teuer. Der chinesische Beschaffungspreis für Kokskohlen beträgt ca. 175 $/t, der Benchmark-Preis für australische Kohlen im Krisenjahr 2009 aber nur 129 $/t zzgl. einer Fracht von ca. 13 $/t. Von daher kauften die Chinesen im Frühjahr sämtliche vom Westen stornierten Förderungen Australiens aber auch Kanadas auf. Selbiges machten die Inder, die relativ wenig durch die Krise gebeutelt worden waren. Die Europäer konnten weder in Australien noch in Kanada Mehrmengen für den Hochlauf ihrer Kokereien ordern und wichen in die USA aus, die noch Kokskohlen zu verkaufen hatten. So retteten sich viele Stahlkocher und ihre Koker durch „Hamster-Käufe“ in den USA, wobei teilweise Kohlen lediglich auf Basis von Data-Sheets eingekauft wurden.

 

Neben diesen preisgetriebenen Verschiebungen im Kokskohlen-Markt ist aber auch eine strukturelle Veränderung im Markt festzustellen. Die vielen Neubauprojekte Asiens (China, Korea, Taiwan) gehen in aller Regel mit dem Neubau von Großhochöfen einher, die ihrerseits mit hochwertigem Koks versorgt werden müssen, um ihre geplanten Wirtschaftlichkeits-Kennzahlen zu erreichen. Guter Koks lässt sich nur aus guten Kohlen erzeugen und so wird zunehmend mehr australische Kokskohlenförderung in Asien untergebracht werden, da Asien gegenüber Europa den Vorteil der geringeren Frachtsätze hat. Von daher kann man nur sagen, die Zukunft wird spannend…

 

Über große Teile des Jahres gab es keinen belastbaren Preis für Importkoks, da weltweit kein Koks gekauft wurde. Aktuell lässt sich europäischer Koks für ca. 230 €/t frei Duisburg beschaffen, der China-Koks wird mit ca. 450 $/t (fob) angeboten, wobei ein nennenswerter Betrag als Steuer an die chinesische Regierung abfließt.

Gegen Jahresende sind alle deutschen Kokereien kurz vor dem Erreichen der 100%-Auslastung, wobei ZKS eine Sonderrolle einnimmt. Die Hochofenbetriebe bei TKSE sind mit 33.000 t/d verplant, wobei dieses auch für das gesamte kommende Jahr gilt. Der Hochofen 9 in Hamborn ist seit nunmehr fast 8 Wochen in Betrieb und der Hochofen A bei HKM wird im Januar 2010 angeblasen. Es brummt wieder in deutschen Landen, aber eine sorgenfreie Zuversicht auf das Jahr 2010 will sich nicht so richtig einstellen.

 

Niemand weis so richtig, man denke nur an die endlose GM/Opel-Story, ob und wie viele Premium-Autos die Deutschen, die Amerikaner, die Araber (Dubai-Effekt) und die Asiaten kaufen werden. Die Auftragssituation beim deutschen Maschinenbau ist nach wie vor sehr heterogen, so dass die Aussicht verschwommen wirkt und der Anlagenbau ist nach wie vor von einem geordneten Finanzmarkt als Kalkulationsbasis potenzieller Auftraggeber abhängig…

 

Der deutsche Kokereianlagenbau hat, anders als die Betriebe, die Krise bislang gut gemeistert. Die Kokereianlagenbauer im Hause UHDE haben in diesem Jahr ein historisches Rekordergebnis eingefahren, da eine Vielzahl an Großprojekten in Asien erfolgreich abgewickelt werden konnte. Ich freue mich sehr, dass bei den Kollegen endlich mal so richtig die Sektkorken knallen konnten, da gerade sie, wie kaum eine andere Berufsgruppe in unserer Branche, unter dem jahrelangen Siechtum des Kokereiwesens leiden mussten, herzlichen Glückwunsch!!!

 

Liebe Vereinsmitglieder, Sie sehen, die Situation in unserer Branche ist nach wie vor spannend. Wenn man etwas Positives in der Krise suchen will, so ist es für mich die Tatsache, dass wir Koker in dieser schwierigen Zeit noch etwas enger zusammengerückt sind. Die Probleme, die Ende letzten Jahres vor uns lagen, waren immens, die Aufgabenstellungen für alle ähnlich bis gleich und die Risiken enorm. Gerade in dieser Situation, teilweise durften keine Dienstreisen mehr gebucht werden, tauschten wir uns über Firmen- und Konzerngrenzen hinweg intensiv aus und suchten für unsere Branche den technisch und betriebs-/volkswirtschaftlich sinnvollsten Weg und, wenn ich hier schon einmal zurückblicken will, ich glaube, wir alle haben ihn gemeinsam gefunden. Nachfolgend nun einige Anmerkungen zu den jeweiligen Werken:

 

Die Kokerei Salzgitter suchte bis zum Ende des letzten Jahres ihre Koksüberproduktion intern einzulagern, wobei mit teilweise archaischen Mitteln der Koks eingestapelt wurde. Letztendlich musste auch bei SZAG die Koksproduktion drastisch reduziert werden. Die Produktionsrücknahme erfolgte bis auf ein Niveau von 75%, d.h. es wurden nur noch 119 statt ehemals stolzer 161 Öfen/d gedrückt, wobei die Garungszeiten von 16 auf 21,5 h verlängert wurden. Den anfänglich festgestellten Rohgasübertritten im Bereich Schamotte/Silika des Oberofens wurde durch Torkretieren begegnet. Die Reduzierung der Gasartenwechsel (Mischgas/Koksofengas) sowie das unbedingte Halten einer Mindest-Heizzugtemperatur von 1.200 °C konnten die Situation letztendlich entschärfen. Die Kokerei ist aktuell auf dem Weg zur Vollproduktion.

Die Kokerei Prosper musste relativ schnell die Produktion von 145 auf 99 Öfen/d zurücknehmen. Berücksichtigt man das Alter der Batterien und die wechselhafte Historie der Öfen, so muss man als Koker der Mannschaft, die dieses ohne größere Schäden an den Öfen auszulösen realisiert hat, allerhöchstes Lob zollen. Die Garungszeiten verlängerten sich im Betrieb von 24 auf 35h. Die Kokshalden bei Prosper wurden mit Anspringen der Stahlkonjunktur relativ schnell wieder abgebaut, und auch die Kokerei selber ist auf dem Wege zur Vollproduktion.

Die Kollegen auf der Kokerei HKM konnten sich ebenfalls nicht der Leistungsrücknahme entziehen und drückten nur noch 51 - 53 statt ehemaliger 75 Öfen am Tag. Die Garungszeiten verlängerten sich von 22 h auf quälende 31,5h. Die Reduzierung der Heizzugtemperaturen von 1.280 auf 1.190 °C löste große Graphit-Platten aus dem Oberofen, die betriebliche Probleme bereiteten. Hinter den Platten wurden Risse im Silika-Bereich sichtbar, die nach gründlicher Recherche dem Graphiträumer des Druckstangenkopfes zugeordnet werden konnten; eine Reminiszenz aus früheren Tagen, die erst in der Krise aufgedeckt wurde. Der Betrieb hat die Krisenzeit genutzt, alle Altschäden durch keramisches Schweißen zu beseitigen und ist nunmehr für die Vollproduktion gerüstet, die er mittlerweile auch annähernd erreicht hat.

Im Saarland kämpften die Kollegen der Kokerei ZKS einen Zweifrontenkrieg. Auf der einen Seite die Leistungsreduktion von 21 auf 25 h Garungszeit, wobei berücksichtigt werden muss, dass wegen der Schäden an den beiden alten Batterien nicht alle Öfen in Betrieb sind. Auf der anderen Seite litt die  Fertigstellung der Batterie 3 unter Qualitätsproblemen mit chinesischen Materiallieferungen. In der Krise bestand dann kein Bedarf für eine vorschnelle und hektische Inbetriebnahme der Batterie, so dass der Terminplan etwas verlängert wurde. Die feierliche Einweihung der Batterie 3 wird nunmehr am 14. Januar 2010 in Dillingen erfolgen. Parallel zum Neubau der Batterie erfolgte die Montage einer neuen Claus-Anlage durch UHDE sowie weitere Modernisierungen im Bereich der KW-Anlagen.

Auf der Kokerei Schwelgern wurden nur noch 106 von nominal 133 Öfen/d bei Garungszeiten von 32 satt 26h gedrückt. Die Heizzugtemperaturen wurden von 1.330 auf 1.240 °C zurückgenommen. Bei KBS zeigten sich Veränderungen auf der Ofendecke, die nach Regenfällen nunmehr der Holsteinischen Seenplatte ähnelt. Die Deckensteine im Bereich der Steigrohre haben sich verworfen, und die eine oder andere Dichtschnur im Bereich der Kammerrahmen ist gelockert. Wie bei allen Kollegen hat aber auch unser ff-Bauwerk bis dato keine schweren Schäden durch die krisenbedingte Fahrweise erlitten.

ThyssenKrupp ist in 2009 erheblich in die Schlagzeilen der Gazetten geraten, in erster Linie durch Überschreitungen des Terminplans und des Budgets für das neue Stahlwerk in Serpetiva, Brasilien. Das parallel in Bau befindliche Walzwerk in Alabama ist dagegen recht gut auf Kurs. Die Weltwirtschaftskrise auf der einen Seite und die Probleme mit den Großprojekten auf der anderen Seite veranlassten die Konzernführung zu einer rigorosen Umstrukturierung des Gesamtkonzerns und die Einleitung von Kostensparprogrammen, denen sich KBS als Tochterunternehmen nicht ganz entziehen kann. Vor diesem Hintergrund ist die tägliche Arbeit auf unserer Kokerei nicht gerade langweilig.

Die bei CSA von den Chinesen zu bauende Heat-Recovery-Kokerei, der
H. Wendt (ehemals HKM) voransteht, ist wegen einer Reihe von strukturellen und vertraglichen Problemen weit hinter dem Terminplan zurück. Das Haus UHDE ist inzwischen in das Projekt involviert, um die Kokerei gemeinsam mit CSA und den Chinesen zu Ende zu bauen, eine technisch und organisatorisch sicherlich mehr als anspruchsvolle und emotional wohl eher unbefriedigende Herausforderung! Mit viel Glück und Frohsinn kann vielleicht im Spätsommer des nächsten Jahres der erste Koks aus der ersten Batteriegruppe dieser Anlage gedrückt werden…